26. Kapitel
Margarets Schrei ließ James sichtlich zusammenzucken. Patrick warf seinem Freund einen besorgten Blick zu. Auch ihm wurde ein wenig übel.
Sie standen in der Eingangshalle herum und warteten auf die Geburt von Margarets Kind. Aber Patrick hatte die Nachricht, dass Margarets Fruchtwasser abgegangen war, bereits am Vormittag erhalten. Und jetzt war später Nachmittag. Die Schmerzensschreie der Herzogin begannen auch an seinen Nerven zu zerren.
»Warum dauert das so lange?«, stieß James verzweifelt hervor. So hatte Patrick den Herzog von Atholl noch nie erlebt. In Hemdsärmeln, mit zerzausten Haaren schritt er auf und ab, als wolle er den Teppich durchlaufen.
»Die Frauen sagten, dass es einen ganzen Tag lang dauern kann, wenn nicht sogar länger«, sagte Patrick.
»Was?« James starrte fassungslos zu der Tür am Ende des Gangs, hinter die sich die Damen zum Teetrinken zurückgezogen hatten. »Ich dachte, das wäre ein Scherz!«
Patrick fand, dass die Damen sehr ernst ausgesehen hatten, als sie das sagten, schwieg jedoch. Er packte seinen Freund bei der Schulter.
»Komm, James, lass uns nach draußen gehen. Ein wenig frische Luft wird uns guttun.«
Aber bevor James antworten konnte, schwang die Eingangstür auf, und Mikhail stolperte herein.
»Verflucht noch mal, ist das kalt da draußen!« Er nahm seinen Hut ab und fragte strahlend: »Junge oder Mädchen?«
»Hör auf zu grinsen wie ein Idiot, oder ich geb dir eins in die Fresse, Bruder der Auserwählten oder nicht«, knurrte James.
Mikhail beschloss, sein Strahlen sicherheitshalber auf Patrick zu richten. »Soll das heißen, dass das Baby noch nicht da ist?«
Patrick konnte nur den Kopf schütteln. Er warf James einen belustigten Blick zu. »Da es draußen zu kalt zu sein scheint, könnten wir ja vielleicht den Damen Gesellschaft leisten?«
Der entsetzte Ausdruck auf dem Gesicht des Herzogs war so komisch, dass Patrick lachen musste.
»Was spricht denn gegen die Gesellschaft von schönen Frauen?«, fragte Mikhail. Er schlüpfte aus seinem Mantel. »Außerdem müsstest du jetzt eigentlich Patrick bewusstlos schlagen, wenn man bedenkt, dass er gelacht hat, während ich mir nur ein kleines Lächeln erlaubt habe.«
James schien nicht zu wissen, was er dem jungen Prinzen als Erstes an den Kopf werfen sollte. Patrick konnte es ihm nachfühlen, ihm ging es meist ebenso, wenn er es mit Mikhail zu tun hatte.
»Komm, gehen wir in dein Arbeitszimmer, James. Es gibt einiges zu besprechen, und wir können ebenso gut gleich damit anfangen.«
James sah nicht aus, als wäre er bereit, seinen Posten vor der Treppe zu verlassen, doch als ein weiterer schrecklicher Schrei aus dem Schlafzimmer herabdrang, wurde er so bleich, dass selbst Mikhail das Grinsen verging.
»Mikhail, du gehst vor«, befahl Patrick und trat hinter James, um ihn in Bewegung zu setzen.
Das Arbeitszimmer des Herzogs war im Vergleich zur Größe der anderen Zimmer verhältnismäßig bescheiden. Margaret hatte absichtlich den kleinsten Raum ausgewählt, denn sie hoffte, dass er dann weniger Zeit dort verbringen würde. Patrick jedoch konnte ihrer Logik nicht folgen. Er selbst fand den mit Holzpaneelen verkleideten Raum urgemütlich.
Sobald sie dort waren, steuerte er seinen üblichen Platz auf der Fensterbank an. James dagegen begann sofort wieder, auf und ab zu gehen.
»Das ist das erste Mal, dass ich die Geburt eines Vampirs erlebe«, sagte Mikhail. »Würde mir einer der Herren vielleicht erklären, was als Nächstes geschieht?«
Als Patrick merkte, dass James nicht die Absicht hatte zu antworten, tat er es: »Das Kind wird geboren.«
James schnaubte, und Mikhail verdrehte die Augen. Patrick fuhr fort.
»Dann hat das Oberhaupt des Clans, in das das Kind hineingeboren wird, die Aufgabe, dem Neubürger seinen Namen zu verkünden.«
Mikhail zog die Brauen hoch. »Der Clanführer sucht den Namen für das Kind aus?«
»Nein. Das tun die Eltern. Der Clanführer flüstert diesen Namen lediglich ins Ohr des Kindes und teilt ihm außerdem mit, wer und was es ist.«
Mikhail nickte zufrieden. »Ich dachte schon, Angelica hätte mich reingelegt, als sie sagte, ich könnte den Namen für das Kind aussuchen.«
»Die Auserwählte lässt dich den Namen für ihr Kind aussuchen?«, fragte James entsetzt. »Gott steh dem armen Wurm bei.«
»Ach was!«, sagte Mikhail wegwerfend. »Das ist doch wohl nur natürlich, oder? Euch Blutsauger kennt sie ja erst seit einem Jahr, mich dagegen fast ihr ganzes Leben lang. Ich nehme meine Onkelpflichten sehr ernst.«
Patrick graute es vor der Antwort, dennoch fragte er: »Ich nehme an, du hast noch keinen Namen gewählt?«
»O doch. Wenn's ein Junge wird, Mikhail, wenn's ein Mädchen wird, Mik.«
»Mik?«, fragte James erschrocken.
»Ja, und?«, meinte Mikhail unschuldig. »Aber was geschieht dann? Ich meine, wie geht's weiter?«
James begann, kopfschüttelnd wieder auf und ab zu gehen.
»Nach der Namensgebung wird das Kind mit Blut gewaschen, und ich gebe James und Margaret das Buch.«
Mikhail beugte sich interessiert vor. »Angelica hat mir davon erzählt. Ist das das Buch, das jeder von euch bei der Geburt bekommt und in das ihr alle Namen verzeichnet, die ihr euch im Laufe des Lebens zulegt?«
»Ja.« Patrick nickte, dann zog er etwas aus seiner Brusttasche. »Das hier bekommt das Kleine, das in Kürze zur Welt kommen wird.«
James trat näher und schaute das in schwarze Leder gebundene Büchlein mit einem seltsamen Ausdruck an. Als sich ihre Blicke trafen, erkannte Patrick, dass sein Freund Angst hatte.
»Vampirfrauen sind stark«, sagte er mit Überzeugung in der Stimme. Er legte seinem Freund die Hand auf die Schulter und blickte ihm fest in die Augen. »Du wirst bald Vater sein, James. Dies ist der glücklichste Tag deines Lebens.«
Der Herzog nickte knapp, und Patrick stieß den angehaltenen Atem aus. Er hatte es gesagt, um seinem Freund zu helfen. In Wirklichkeit hatte er keinerlei Erfahrung in diesen Dingen.
Wenn es Violet wäre, die oben im Schlafzimmer läge und sich die Seele aus dem Leib schrie... bei dem Gedanken wurde ihm ganz schlecht, und er wandte sich Mikhail zu, um sich abzulenken.
»Später wird das Kind dann offiziell vorgestellt. Dazu wird sich der ganze Clan versammeln. Aber diese Zeremonie wird in unserem Fall erst in zwei Monaten stattfinden, wenn auch deine Schwester ihr Kind zur Welt gebracht hat. Dann haben alle vier Clans Zeit, sich hier zu versammeln. Das Kind der Auserwählten wollen natürlich alle sehen.«
Mikhail sah aus, als hätte er noch mehr Fragen, wurde aber von James' Haushälterin unterbrochen.
»Hoheit! Das Kind ist da!«
James schoss wie ein Blitz aus dem Zimmer, und Patrick gab Mikhail einen Wink, noch zu warten. Der frischgebackene Vater wollte jetzt sicher einen Moment mit Frau und Kind allein sein.
»Schade, dass das Kind so früh kam. Alexander wird sich sicher ärgern, dass er die Geburt versäumt hat«, seufzte Mikhail.
Patrick konnte ihm nur beipflichten. Alexander war James' und Margarets engster Freund, der Vampir würde bekümmert darüber sein, dieses ganz besondere Ereignis versäumt zu haben.
Einige Minuten später machte sich Patrick auf den Weg. »Komm, ich muss zur Namensgebung.«